Wie wir Weihnachten im Bewusstsein der Endlichkeit feiern und das Fest der Liebe zu einer Feier des Lebens werden kann

Menschen, die uns fehlen, fehlen in der Adventszeit manchmal noch ein bisschen mehr. Die stimmungsvolle Adventszeit ist geprägt von strahlenden, funkelnden Lichterketten, fröhlichen Liedern, dem Duft warmer Maroni und würziger Lebkuchen. Doch hinter der glänzenden Fassade dieser Zeit kurz vor Jahresende wartet für viele von uns eine Zeit der Wehmut, des Vermissens und der Trauer.


Die Inhalte dieses Blogartikels:


    Je nachdem wie unser Leben gerade verläuft, spüren wir inmitten des frohen Zusammenseins Wärme und Freude. Sie kann für manche unter uns auch traurig, schwer und voller schmerzlicher Erinnerungen sein, weil wir einen Menschen verloren haben oder vielleicht bald verlieren werden. Mögen wir einander mitfühlend und mit offenem Herzen füreinander da sein.

    Und bevor’s losgeht, noch ein Gedanke:
    Ich kann sehr gut nachempfinden, wenn für gewöhnlich oder gerade dieses Jahr bei dir kein Weihnachtsgefühl aufkommen mag – dann freue ich mich, wenn du dir nach dem Lesen dieses Artikels ein paar Impulse für dein Umfeld mitnehmen kannst.

    Ein weihnachtlich geschmückter Tannenkranz trägt eine rote Schleife und ein grünkariertes Tuch. Dahinter ein unscharfer Waldhintergrund mit einem Gehweg

    Weihnachten als Familienfest erinnert uns an innige Herzensverbindungen (© Adam Tarwacki on Unsplash)

    Weihnachten ist ein polarisierendes Fest

    Es vereinigt einiges an Erwartungshaltung, Bedeutungsdichte und Emotionen in sich: während die einen das Fest der Liebe emotional einmal mehr daran erinnert, dass unser Leben vergänglich ist, haben andere vielleicht noch nie darüber nachgedacht, dass gerade das Weihnachtsfest jemandem im persönlichen Umfeld weh tun und geschlossen geglaubte Narben aufreißen könnte. Egal, ob das Fest eine große oder weniger bedeutende Rolle in deinem Leben spielt, kaum jemand steht dieser Jahreszeit völlig neutral gegenüber.

    In diesem Blogartikel möchte ich mit dir erkunden wie wir die stade Zeit der Advents- und Weihnachtstage so gestalten können, dass wir allen Gefühlen Raum geben. Also Weihnachten im Bewusstsein der Endlichkeit feiern und dabei die Vergänglichkeit der Dinge nicht beiseite schieben – sondern sie vielmehr bewusst einklammern. Weil auch all diese Gefühle zum Leben gehören. Vielleicht sogar ein wenig mehr, als große Erwartungen, Geschenke mit bombastischen Schleifen oder dem perfekten Weihnachtsbaum, der keinesfalls schief stehen darf.

    Dieser Artikel soll die Vielfalt der biografischen Erlebnisse und unsere unterschiedlichen Lebenssituationen vereinen und gleichzeitig praktische Impulse geben, denn viele von uns wissen noch gar nicht wie sie in ihrer Familie mit ihrer Sehnsucht und Trauer in der Adventszeit umgehen sollen.

    Ich gebe dir Impulse, wie du besinnlich Raum für Schmerz UND Erinnerung schaffen und deine Sorge vor dem Verlust einer lieben Person achtsam in deine Weihnachtstage integrieren kannst. Sowohl traditionelle als auch moderne Rituale und Nachdenkfragen können dich unterstützen, tiefgehende Verbindung mit dir selbst, verstorbenen und lebenden Familienmitgliedern aufzubauen.

     

    Wie die Idee zu diesem Blogartikel entstand

    Ist Weihnachten ein Wort, das in dir Sorge und Trauer auslöst und du gar nicht weißt, wie du das Fest der Liebe vor lauter Schmerz überstehen sollst? Oder ist die festliche Zeit eine warme, besinnliche, die du mit oder in deiner Familie gemeinsam verbringst? Vielleicht denkst du dir aber auch: Weihnachten ist ein Tag wie jeder andere. Eben einer, an dem du nicht wirklich darüber nachdenkst, dass die Lebenszeit kostbar und begrenzt ist.

    In den letzten Jahren gab es in meinem persönlichen Umfeld einige Erlebnisse, die mich aus dem geschäftigen Treiben und gerade kurz vor Weihnachten aus der Banalität des Geschenkewahnsinns holten. Sie ließen mich aufhorchen: meine Lieben um mich herum werden nicht ewig leben.

    Eine Straßenlaterne mit Tannenzweig und roter Schleife geschmückt. Dahinter ein Dorfhintergrund mit gelben Lichtern

    Die stade Zeit ist eine Zeit des Ankommens – bei uns selbst und in unseren Familien (© Josh Harrison on Unsplash)

    Dass auch meine eigene Lebenszeit schneller vorüber sein könnte, als ich mir das wünsche, habe ich selbst in einem einschneidenden Lebensereignis zu Beginn der Adventszeit vor ein paar Jahren gespürt. In der Podcastfolge „All you need is love – Verletzlichkeit ist deine Stärke“ habe ich meinem Co-Host Gerhard von einem Autounfall erzählt, der mich mit meiner eigenen Endlichkeit konfrontiert und sprichwörtlich aus der Bahn geworfen hat. Es ist ein Erfahrungsbericht mit Gedanken und Perspektiven.
    Triggerwarnung: Wenn du dich im Moment von so einem Ereignis zu sehr getriggert fühlst, bitte ich dich, dir die Folge mit jemandem zusammen oder zu einen späteren Zeitpunkt anzuhören.

    Der konkrete Anstoß zu diesem Blogartikel kam mir vor ein paar Tagen nach einem wundervollen, tiefsinnigen Gespräch mit einem lieben, langjährigen Freund, dessen 93 Jahre alte Mutter vor kurzem verstarb. Er erzählte mir mit offenem Herzen und viel Vertrauen in mein Hinhören wie er im Kreis seiner Geschwister die letzten Tage der Mutter erlebt hat.
    Wir kamen im Gespräch unter anderem auf den individuellen Umgang mit der Situation unter den Geschwistern. Er reicht von der Erleichterung, dass die Mutter, die nur mehr wenig Lebensmut hatte, endlich gehen durfte bis hin zu tiefster Traurigkeit und einem Schmerz, mit dem man gar nicht weiß wohin. Jede Person verarbeitet anders, was keiner Wertung bedarf. Alles darf sein und jedes Familienmitglied hat seine eigene biografische Geschichte mit der verstorbenen Person. Unter den Geschwistern gibt es mit Blick auf das bevorstehende Weihnachtsfest in diesem Jahr einen ganz besonderen Wunsch: Weihnachten mit ihren inzwischen eigenen Familien im gemeinsamen Elternhaus – nun ohne Eltern – zu verbringen.

    Dieses herzerwärmende Gespräch hat mich dazu inspiriert dich anzuregen über deine eigene Erfahrung mit der Endlichkeit bezogen auf das Weihnachtsfest nachzudenken. Wie können wir den dunklen Aspekt des Vermissens von bereits verstorbenen Personen in unserem Leben gerade am leuchtenden Fest der Liebe integrieren und gleichzeitig reflektieren was es für uns heißt wärmende Erinnerungen zu schaffen – jenseits der üppigen Geschenkpapierhaufen und der Erwartungen im Außen.

    ein verschneiter, kupfer-grüner, nach unten blickender Engel mit ausschweifenden Flügeln steht vor verschneiten Büschen auf einem Friedhof

    Auch an Jahreskreisfesten wie Weihnachten ist es heilsam seine verstorbenen Familienangehörigen bewusst zu integrieren (© Marek Studzinski on Unsplash)

    Die Vielfalt der biografischen Erlebnisse und Lebenssituationen

    Es gibt so viele verschiedene Lebenssituationen wie es verschiedene Biografien gibt. Und ebenso viele biografische Erlebnisse mit dem Tod und Sterben – im persönlichen Umfeld oder im Bekanntenkreis. Und noch nicht genug: es gibt gleichzeitig sehr viele individuelle Meinungen zum Weihnachtsfest in Familien und Freundeskreisen. Angesichts dessen kann die himmlische Ruh’ schnell zur höllischen Ruh’ am festlich gedeckten Tisch werden.

    Fehlt dir ein geliebter Mensch dieses Jahr ganz besonders?
    Wie verbringst du Weihnachen – jetzt, wo eine Person fehlt?

    Zugegebenermaßen fällt es nicht immer leicht seine Wünsche, Ängste oder Sorgen offen auszusprechen. Selbst in der eigenen Familie kann es ein großer Vertrauensvorschuss gegenüber dem/der Partner/in sein sich mit seinen Emotionen eigener Verluste zu öffnen oder weil einst warme Kindheitserinnerungen jetzt schmerzen, weil das eigene Kind nicht mehr lebt oder man nie selbst welche haben konnte.

    ein Holztisch, an den ein leerer Stuhl geschoben ist, ist weihnachtlich mit einer ovalen Decke aus Bast, Zweigen und Kerzen dekoriert

    Wenn am Weihnachtsfest ein Platz am Tisch leer bleibt, wird sichtbar wer fehlt (© Chelsea Francis on Unsplash)

    Es gibt viele individuelle Lebenswelten, die uns ein Fest wie Weihnachten ganz besonders spiegelt:

    • Menschen, die die Klarheit haben, dass es für ein Familienmitglied höchstwahrscheinlich das letzte Weihnachtsfest sein wird

    • Menschen, die mehrere Verlustsituationen gehäuft erlebt haben (Verlust von Familienmitgliedern durch Krankheit oder Unfall, Trennung, Verlust des Arbeitsplatzes, Verlust des Zuhauses, …)

    • erwachsene Töchter und Söhne, deren Eltern bereits verstorben sind und die spüren, dass sich das Lebensrad unaufhaltsam dreht

    • Töchter und Söhne, deren Eltern bereits während ihrer eigenen Kindheit verstorben sind und die Eltern besonders an Weihnachten schmerzlich fehlen

    • Menschen, deren Eltern alt, schwerkrank und/oder an Demenz erkrankt sind

    • Sternen-Eltern, die ihr Kind verloren haben

    • Paare mit unerfülltem Kinderwunsch, denen Weihnachten all ihre Sehnsuchtswunden aufreißt, weil sie nie in strahlende Augen eigener Kinder blicken werden dürfen

    • Eltern von (schwer-)kranken Kindern, die aufgrund ihrer Behinderung oder seltener Diagnosen nicht um den Weihnachtsbaum tollen und filigrane Plätzchen verzieren können

    • Menschen ohne Freund:innen, Geschwister oder Lebenspartner, die als Single an Weihnachten Einsamkeit spüren

    • Familien, deren Mitglieder das Jahr über verstreut leben und der Schmerz der Sehnsucht am Weihnachtsfest ganz besonders geballt spürbar ist

    • Menschen, die mit ihren Familien zerstritten sind und Vergebung oder Versöhnung weit weg der Realität liegen

    • Menschen, die in ihrer eigenen Kindheit nie ein warmes Weihnachtsfest erleben durften und sich danach sehen

    • Menschen, die kein christliches Weihnachten feiern, weil sie aus einer anderen Kultur kommen und sich einsam fühlen, weil die Bekannten in ihren Familien “verschwinden”

    eine erwachsene Frau und eine kleine Tochter sitzen mit Nikolausmützen vor einem hell erleuchteten Weihnachtsbaum in ihrer Wohnung. Rechts ist ein Holzschrank. Man sieht die Personen von hinten

    Nicht alle Familien können Weihnachten so feiern, wie sie sich es gerne wünschen (© S. B. von Lanthe on Unsplash)

    Die (sozialen) Medien und die alljährlich sentimentalen Weihnachtsspots der großen Konsummarken liefern ihren Rest zum Fest: Wen soll man als suizidhinterbliebene, verwaiste Eltern oder Sternenkind-Eltern mit übrigem Glück im Herzen durch buntes Weihnachtsshopping beschenken, wenn man niemanden (mehr) zum Beschenken hat?

    Mit dem Tod des eigenen Kindes wird die als “natürlich” gefühlte Reihenfolge des Versterbens durchbrochen – egal, ob das Kind noch im Bauch der Mutter, 4 oder 17 ist. Im Film „Kleiner Casimir – Sein Tod und unsere Freundschaft“ (ARD-Mediathek) fällt der Satz: „Ein Kind zu haben ist eine Lebensaufgabe. Ein Kind zu verlieren ist auch eine Lebensaufgabe.“

    Ich ergänze für die Lebenssituation mit unerfülltem Kinderwunsch: Auch das ist eine Lebensaufgabe, mit dieser unerfüllten Sehnsucht klarzukommen – etwas zu betrauern, was nie da war. Dieser Herzschmerz kann gerade an Festen im Jahreskreis weh tun, wenn andere Familien Lichterketten aufhängen, Kalendertürchen öffnen und Weihnachtsstress haben.

    Nie erfahren wir unser Leben stärker als in großer Liebe und in tiefer Trauer.
    — Rainer Maria Rilke

    Das Betrauern eines Kindes hat eine ganz besondere Dimension. Wenn du eine/n (suizid-)verwaiste/n Freund/in, befreundete Sternenkind-Eltern oder ein Paar mit unerfülltem Kinderwunsch in deinem Umfeld hast, mach dir bewusst, dass die Advents- und Weihnachtszeit unter Umständen besonders intensiv für sie sein kann. Weil sie damit eine Sehnsucht verbinden: mit Kindern Plätzchen backen, die Wohnung glitzernd zu schmücken, über den Weihnachtsmarkt zu bummeln und Senfflecken von der Jacke zu wischen, als stolze Eltern beim Krippenspiel die strahlenden Kinderaugen funkeln zu sehen – die einem selbst so sehr fehlen.

    Und dann wäre da noch der schwermütige Gedanke an den Gabentisch, der in diesem Jahr einen Geschenkkarton weniger tragen wird, weil einem eine Hiobsbotschaft eine liebe Person in seinem Leben genommen hat und man auf dem diesjährigen Weihnachtsmarkt so einige passende Geschenkideen für diese Person entdeckt. Die Lebenspartnerin, mit der man noch so viele Pläne hatte oder der Opi, der zum letzten Fest noch so rüstig Witze gerissen hat… Wohin mit all diesen Bedürfnissen, von denen am offiziellen Fest der Liebe so viel übrig sind?

    Den Schmerz kann man nicht nehmen. Der Verlust der verlorenen Person liegt deshalb so schwer auf der Brust, weil man sie sehr geliebt hat. Das gehört zu Trauer und Verarbeitung dazu.

    eine junge Frau mit schwarzer Latzhose und beigefarbenem Wollpullover bekleidet schließt ein verpacktes Weihnachtsgeschenk vor ihrer Brust haltend eng an sich

    Nichts ist mehr so, wie man es sich vorgestellt hat (© Kira auf der Heide on Unsplash)

    Rituale der Erinnerung – fünf Tipps, wie du deine Advents- und Weihnachtszeit bewusst gestalten kannst

    Im Folgenden möchte ich dich einladen, dich von praktischen Ideen und Ritualen inspirieren zu lassen, die deine Weihnachtszeit zwischenmenschlich tiefsinnig zu einem bedeutsamen Fest machen.

    Achtsamkeit und Präsenz lenkt während dieser Zeit den Fokus auf die kleinen Momente, in denen wir Verstorbene integrieren. Zeit und Aufmerksamkeit haben oft mehr Wert als materielle Geschenke und erlauben mit lebenden Familienmitgliedern so zu feiern, dass wir Erinnerungen schaffen. Ich möchte dich ermutigen, diese Denkperspektive in deine stille Winterzeit einzubeziehen.

     

    1. Memento mori – bedenke, dass du sterben wirst

    ‚Er-lebe‘ die bevorstehende Weihnachtszeit als sei es das letzte Weihnachtsfest: dein eigenes oder das mit deinen Liebsten.

    Nimm deine Liebsten dieses Jahr extra innig in den Arm, lacht und weint gemeinsam vor Freude und Trauer und lasst Erinnerungen aufleben. Wenn du Single bist oder vielleicht zu deiner Herkunftsfamilie keine Verbindung (mehr) hast, überlege dir, was du dir oder anderen an diesen Tagen Gutes tun kannst: in einem Ehrenamt mithelfen oder Freundinnen treffen, in einen Club gehen oder mit dem Single-Kumpel den Lieblingscocktail mixen – erlebe es absichtlich so als wäre es das letzte Mal.
    In vielen Familien bricht gerade zum Heiligen Abend Streit aus. Unterschiedliche Ansichten und nicht erfüllte Erwartungen führen zu mieser Stimmung. Wie blöd eigentlich angesichts der Tatsache, dass jemand bald sterben könnte, oder?! Denn so wäre das Weihnachtsfest mit Zank und Streit das letzte, woran du dich mit diesem Menschen irgendwann erinnern wirst.

     

    2. Die Lücke – eine geliebte Person fehlt

    Die Familie um Dietrich Bonhoeffer pflegte ein wundervolles Weihnachtsritual: was innen schrecklich schmerzt, wird im Außen sichtbar gemacht. Die Familie schnitt aus dem geschmückten Weihnachtsbaum im warmem, behaglichen Weihnachtszimmer ein Zweiglein heraus und brachte es gemeinsam zum Grab des im Krieg gefallenen 18-jährigen Sohn. Du kannst dabei auch eine Kerze anzünden.

    eine Frau, die im Schnee steht, hält einen kleinen Tannenzweig vor ihrem Oberkörper. Ihre Fingernägel sind schwarz lackiert

    Ein Zweig am Grab des geliebten Verstorbenen schafft innige Verbindung (© Alisa Anton on Unsplash)

    3. Integriere deine Lieben in dein weihnachtliches Zuhause

    Erinnern dich die Möbel in der Wohnung deiner verstorbenen Oma an schattenhafte Gestalten? Eine fehlende Person ist nicht weg, sie ist woanders. Du kannst den Verlust, der in dir eine emotionale Leere hinterlässt mit Erinnerungen auffüllen und deinem geliebten Menschen zuhause auf einer Kommode zum Beispiel einen adventlich-liebevollen Andenkenplatz schaffen. Indem du zum Beispiel einen Zweig in eine Vase gibst, einen Bilderrahmen aufstellst oder wie es dir zusagt, weihnachtlich dekorierst. Vielleicht spendet dir auch eine selbst gestaltete Erinnerungskerze auf der geschmückten Fensterbank Licht und erinnert dich an die warmen Momente gemeinsam mit dieser Person. So schenkst du der fehlenden Person einen festen Ort, an dem du auf deinen Wegen durch deine Wohnung vorbeikommst und ihr ‚Gute Nacht‘ wünschen oder ihr das sagen kannst, was dir auf dem Herzen liegt. Auch, dass du ihr jetzt gegenübersitzt und gar nicht glauben kannst, dass es nur noch ein Bild ist, auf das du blickst – weil seine Nähe, sein Lächeln, einfach alles so sehr fehlt.

    Vielleicht hat deine verstorbene Person besondere Weihnachtsbräuche gelebt. Dann kannst du dies aufnehmen und dabei an sie denken, wenn du einen Tannenkranz für deine Haustür bindest, ihre Lieblingsplätzchen backst (und vernaschst). Oder du stellst diese eine ganz besonders schiefe, kitschige Weihnachtsfigur, die sie so geliebt hat, in dein beleuchtetes Fenster. Das sorgt für Verbindung im Herzen.

    Familienmitglieder haben oft unausgesprochen ihren eigenen Platz am Essenstisch. Kennst du das? Niemand würde sich jemals an diesen Platz setzen. Du kannst den Platz der verstorbenen Person am festlich gedeckten Tisch mit eindecken, als wäre sie hier bei euch. Zusammen ist man weniger allein. So ist die vermisste Person integriert. Sie ist ja nicht weg – sie ist nur woanders.

    Du kannst eine Sternenkind-Mama oder ein befreundetes Paar in dieser Situation mit einer kleinen Aufmerksamkeit für ihr Sternenkind beschenken. Auch, wenn das Kind nicht mehr lebendig ist, ist es ein ganz normales Bedürfnis und ein umhüllend warmes Zeichen eurer Freundschaft, weil es mit bedacht, in eure Beziehung eingebunden und nicht vergessen wird. Wenn du dieser Familie eine Weihnachtskarte schickst, begrüße in der Anrede nicht nur Mama und Papa, sondern auch das verstorbene Kind. Und falls du dir unsicher bist, wie du es handhaben kannst, frage ganz offen, was sich für diese Familie, die Mama oder den Papa stimmig anfühlt.

    Oder es ist das von mir eingangs erwähnte Vorhaben meines langjährigen Freundes, dessen Geschwisterkreis nun im Elternhaus nach dem Versterben beider Eltern zusammenkommt. Diese Idee hat mich besonders als Einzelkind berührt.

     

    4. Ein unsicheres Gefühl willkommen heißen – wenn die eigenen Eltern altern

    Unsere Emotionen können in einer Mischung aus Liebe und Sorge zwischen den eigenen Kindheitserinnerungen und dem Pflichtbewusstsein schwanken. Viele Familien feiern am Heiligen Abend im kleinen Kreis und bekommen beispielsweise erst an den Weihnachtstagen (25. und 26.12.) von den Eltern, Geschwistern, Großeltern, Tanten und Onkeln Besuch. Irgendwann wird sich dieser Aspekt im sich drehenden Lebensrad vermutlich umdrehen und man wird zu den (Groß-)Eltern ins Pflegeheim zu Besuch fahren.

    Wenn die eigenen Eltern altern, stehen wir vor Liebe und Sorge gleichzeitig manchmal wie im Nebel. Vielleicht besonders an Festen wie Weihnachten (© Transly Translation Agency on Unsplash)

    Gerade pflegende Angehörige, die Familienmitglieder zuhause versorgen, haben oft zusätzlichen Weihnachtsstress. Pflege macht keine Pause und die mentale Anspannung beim Gedanken an die fordernde Verwandtschaft löst zusätzlich Überforderung aus.

    Vielleicht hast du ein Familienmitglied oder jemand Nahestehenden in deinem Freundeskreis, die oder der dementiell erkrankt ist. Die Emotionen, die dich in dieser Situation überkommen, können ähnlich sein wie eine Art vorgezogene Trauer. Bei Familienmitgliedern mit Demenz sind wir, die im langsam schleichenden Prozess von außen betrachten, damit konfrontiert, uns von jemanden zu verabschieden, der körperlich noch anwesend ist. Du hast Angst jemanden zu verlieren. Gerade am Weihnachtsfest, einem Familienfest, eine besondere Herausforderung.

    Kannst du in dir selbst die Empfindung einladen, etwas auf absehbare Zeit verabschieden zu müssen, das noch gar nicht abgeschlossen ist?

    Wir alle wissen nicht, wie viele gemeinsame Weihnachten es noch gibt. Bei Erkrankungen in der Familie schwingt ungewollt diese schmerzende Frage mit, die nur sehr schwer auszuhalten ist. Umso schöner ist es, den Fokus darauf zu legen, für gemeinsame Erinnerungen zu sorgen.

     

    5. Achtsamkeit und Dankbarkeit für den Moment

    Habt ihr in eurer Familie auch bestimmte Bräuche, die für dich für Weihnachten stehen? Gemeinsam Plätzchen backen, den schönsten aller Weihnachtsbäume suchen und finden, die Fenster mit Lichterketten schmücken, den Adventskranz dekorieren, die Christmette besuchen oder etwas anderes nicht traditionell Christliches? Mach dir diese ganz bewusst, denn Weihnachten ist in unserer Gewohnheit und Kultur eingebettet in eine Reihe von Bräuchen.

    Frag dich, welche Momente du für dich einrichten kannst, die dir helfen diese schwere Zeit zu meistern. Momente der Einsamkeit oder Verlustangst spüren, die dir schwer auf der Seele liegen. Du darfst dir Zeit geben und nehmen für Gefühle und Gedanken, für Trauer und Schmerz, für Schweigen und Hoffnung. Aber auch für Bewegung. Alles darf sein.

    Schenke Erinnerungen. Die Fotos im Familienalbum, die später für dich und deine Familie, deine Kinder oder Freunde einen Wert haben werden, sind nicht unbedingt die Fotos, die das perfekte Weihnachtsoutfit beweisen oder wie ordentlich aufgeräumt die Wohnung zum Weihnachtsfest war. Die Konsumforschung zeigt, dass Menschen sich glücklicher fühlen, wenn sie miteinander Erinnerungen schaffen statt Materielles zu konsumieren. Zeit statt Zeug. Schenke dieses Jahr doch mal bewusst keine Dinge, sondern gemeinsame Zeit: einen Töpferkurs, gemeinsames Stricken, oder einen Theaterbesuch. Und selbst, wenn ihr das gemeinsam besuchte Event schrecklich findet, habt ihr etwas worüber ihr euch sicherlich noch lange unterhalten und schmunzeln werdet. Das schafft echte zwischenmenschliche Verbindung.

    Ruhe ist als Qualität zum Krafttanken ein guter Berater im stillen Ankommen. Gehe deinem Bedürfnis nach Ruhe und dem Verlangen nach, wenn du es verspürst. Gerade in der trubeligen Weihnachtszeit neben Hektik, Todo-Listen und dem Wunsch alles perfekt machen zu wollen, tut es gut, sich für einen Moment zum Spazierengehen oder dem Malhobby herauszuziehen. Vielleicht empfindest du gerade in der Stille die Gelegenheit Rituale entstehen zu lassen: zum Beispiel eine Marmeladenglas-Sammlung mit Dingen, in denen ihr in deiner Familie dankbar seid. Oder mit einer Freundin telefonieren und ihr sagen, wie sehr sie dir im vergangenen Jahr in deinen schweren Stunden eine emotionale Stütze war.

    eine helle Blockkerze steht auf einem Tisch aus unbehandeltem Holz. Daneben liegt eine Trockenblume. Im Hintergrund ist ein großes, helles Fenster zu sehen.

    Ruhige Momente tun uns gut – in der Trauer und in der Weihnachtszeit (© sixteen miles out on Unsplash)

    In der Vorbereitung für diesen Artikel erinnerte ich mich an einen Lehrer während meiner Berufschulzeit. Er hat uns in der Woche vor Weihnachten, als der Schulstoff schon löchriger wurde, von seinen Weihnachtsplänen erzählt: er half am Heiligen Abend seit vielen Jahren in einem Heim für obdachlose Menschen, kochte in einer großen Gruppe fremder Ehrenamtlichen für sie und las ihnen vor. Vielleicht spricht dich dieser Impuls als Ritual außerhalb deiner eigenen (Herkunfts-)Familie an?

    Wenn wir uns erlauben, mehr zu fühlen, erlauben wir uns, uns besser zu fühlen
    — Sheva Rajaee
     

    Fragen zum Nachdenken

    Ich habe dir als gedankliche Grundlage ein buntes Potpourri gegeben, welche unterschiedlichen biografischen Erlebnisse es gibt, die Menschen prägen und gerade zur Weihnachtszeit intensiver als sonst beschäftigen können. Und zusätzlich zu den Ritualen, die du als Inspiration sehen darfst, wie du den Tod, das Sterben und Vermissen von lieben Personen in deine Weihnachtszeit integrierst, gebe ich dir im Folgenden jetzt Fragen zum eigenen Reflektieren mit.

    Schnapp dir die, die dich ansprechen und teile sie gerne mit deinen Lieben:

    • Wie hast du in den letzten Jahren die Adventszeit und Weihnachten verbracht?

    • Wie und mit wem möchtest du dieses Jahr Weihnachten feiern?

    • Wie möchtest du gerne dieses Jahr die stille Zeit verbringen?

    • Wird es dieselben Traditionen im Tannenduft und Lichterglanz geben wie immer?

    • Hast du denjenigen, mit denen du die Feiertage nicht verbringen möchtest, schon abgesagt?

    • Welche Rituale pflegt ihr in der Familie (nicht)?

    • Welche Traditionen pflegt ihr insbesondere in Gedanken an eure Liebsten?

    • Gibt es Rituale, die du in deiner Familie neu etablieren möchtest?

    • Möchtest du deinem Sternenkind etwas schenken?

    • Welche sind dir aus deiner Kindheit in Erinnerung geblieben?

    • Welche vermisst du und hättest sie genauso liebevoll in einem besinnlichen, warmen Familiengefühl gestaltet wie die Bekannte von der du weißt, dass sie es in ihrer Familie leben?

    • An welche winterlichen Erinnerungen, denkst du, wirst du dich auf deinem eigenen Sterbebett erinnern?

    • Wie kannst du an Weihnachten bleibende emotionale Andenken schaffen?

    • Gibt es eine Person, der du an Weihnachten etwas Besonderes sagen möchtest?

    • Welche emotionalen Erbstücke hast du in deinem Leben?

    • Wo und wann spürst du Heimat oder Zuhause?

    • Welcher geliebter Mensch fehlt dir dieses Jahr ganz besonders?

    • Wie verbringst du Weihnachen jetzt, wo eine Person fehlt?

    • Fühlst du dich überfordert, weil es von überallher tönt, dass du an Weihnachten glücklich sein sollst? Was täte dir stattdessen gut?

    Zeit zum Reflektieren schenkt uns Zugang zu uns und unserer Sehnsucht (© Aaron Burden on Unsplash)

    Das Nachdenken über die eigene Haltung zum Thema Weihnachten, Sterben und Vergänglichkeit fördert das bewusste Hinspüren und Platzieren von Wünschen, die aus dem gewohnten Muster fallen. Und auch die Erlaubnis an sich selbst, dass man Weihnachten z.B. nach einem Verlust für sich und seine Partnerschaft oder Familie komplett neu erfinden darf. Nichts muss an früher erinnern.

    Und zu guter Letzt noch ein entlastender Gedanke:
    Du musst nicht in Weihnachtsstimmung sein oder auf Weihnachtsmärkte gehen. Du musst nicht weihnachtlich schmücken, mit deiner Familie zusammen feiern. Du musst überhaupt nicht feiern, wenn dir nicht danach zu mute ist. Tu, was dir gut tut. Nicht alle Menschen mögen diese Zeit. Das kann verschiedenste Gründe haben. Mach das, womit du dich wohlfühlst und nicht das, was andere möglicherweise von dir erwarten.

     

    Eine Frage für ganz besonders Mutige

    Für die ganz besonders Mutigen unter uns, habe ich noch einen weiteren Impuls: frag doch mal in einem für dich stimmigen Moment am bevorstehenden Weihnachtsfest, wenn deine Familie zusammenkommt, in die Runde: „Hey, weil wir gerade alle beisammen sitzen und ich kürzlich darüber nachgedacht habe… Welche Wünsche habt ihr eigentlich für eure Bestattung?“

    Du wirst selbst spüren, ob es der passende Moment ist, diese Frage zu stellen. Vielleicht beim Glas Wein am 1. Weihnachtsfeiertag oder beim Spaziergang an der frischen Luft im Schnee. Und wenn sich der Moment nicht ergibt, erzwinge nichts, dann findet sich irgendwann ein anderer für dich/euch stimmiger Moment.

    am rechten Bildrand ist angeschnitten ein Weihnachtbsaum mit gold-glänzender Kugel. Dahinter links im Bild unscharf hängen rote Weihnachtsstrümpfe an einer Kaminumrandung

    Hast du den Mut dich gerade an Weihnachten in deiner Familie zu zeigen? (© Chad-Madden on Unsplash)

    Die Liebe, die die Zukunft formt

    In diesem Artikel habe ich mit dir überlegt, welche Kindheitserinnerungen du an Weihnachten hast, welche Rituale ihr pflegt und dir aufgezeigt, dass es ganz schön viele unterschiedliche Lebenssituationen unter uns allen geben kann. Wir alle haben individuelle Lebenswelten, die uns regelmäßig oder unregelmäßig die Vergänglichkeit spiegeln.

    Für manche Menschen, die jemanden vermissen, beginnt bereits im Herbst das Gefühlschaos und mit Blick auf Weihnachten wird die Trauer ganz groß. Andere schmerzt das Vermissen von eigenen, familiären Weihnachtsmomenten. Egal, wie es dir geht, fühl genau da hin. Fühl rein, ob du es trotzdem machen willst – um Traditionen zu pflegen und um das Heimatgefühl beizubehalten. Es gibt Kraft etwas von vorherigen Generationen Angefangenes weiterzuführen.

    Vielleicht sind aber auch von dir neu entdeckte Rituale und Ideen später mal Erinnerungen in nachfolgenden Generationen, die sich liebevoll und warm an dich zurückerinnern werden. Frag dich:

    Was soll von mir bleiben und woran sollen sich meine Nachkommen oder meine Freunde an ein Weihnachtsfest MIT MIR erinnern?

    Beisammensein zum Fest der Liebe schafft Verbundenheit mit verstorbenen und lebenden Familienangehörigen und Freunden (© Lilartsy on Unsplash)

    Das Leben ist ein stetiger Wandel und es wird nicht möglich sein Verluste zu umgehen. Das Schaffen von Erinnerungen und Momenten, das aber können wir beeinflussen. Manche Momente sind so ehrlich. So roh. So schön, dass sie glücklich machen, obwohl sie schmerzen. Es gibt herzerwärmende Momente und Begegnungen mit Menschen, wenn wir offen dafür sind.

    Wenn du in deiner Familie achtsame Rituale hast, wir ihr eure Verstorbenen liebevoll integriert oder in der Familie Erinnerungen für die nachfolgenden Generationen schafft, lass es mich gerne wissen, schreib einen Kommentar unter diesen Blogartikel oder schreib mir auch gern persönlich, dann nehme ich deine Idee anonym in diesen Blogartikel mit auf, damit wir uns gegenseitig inspirieren können. Und folge mir auch gerne auf Instagram.

    Ich wünsche dir von ganzem Herzen eine warme, umhüllende Weihnachtszeit, genauso wie sie sich für dich stimmig anfühlt.

    Alles Liebe,
    Deine Kathrin

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